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Wohnungslosigkeit unter Jungen Erwachsenen beenden! Forderungen aus der Praxis

Für den Inhalt verantwortlich: Doris Moravec, Florian Baumgarten und Maresi Kienzer, Vorstandsmitglieder der [um]bruch:stelle

Von 13. bis 15. Mai 2024 fand die diesjährige BAWO-Fachtagung statt. Dort gestaltete die [um]bruch:stelle, gemeinsam mit zwei Kollegen aus Jugendnotschlafstellen in St. Pölten (Bernhard Klemt von COMePASS/Emmausgemeinschaft) und Innsbruck (Matthias Tachezy vom CHILL OUT/DOWAS), einen Arbeitskreis zum Thema „Junge Erwachsene in der Wohnungslosigkeit. Befund, Kritik, Ausblick“. Gemeinsam mit den Teilnehmenden entstanden bundesländerübergreifende Forderungen, wie Wohnungslosigkeit unter Jungen Erwachsenen verhindert oder zumindest rascher und nachhaltiger beendet werden kann. In diesem BLOG-Beitrag werden die Forderungen erstmals publiziert.


Der gemeinnützige Verein „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ (BAWO), Veranstalter der jährlichen BAWO Fachtagung, wurde 1991 „mit dem Ziel als Dachverband die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Österreich zu vernetzen, überregionale Aufgaben zu koordinieren und gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung und Beseitigung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit“ [1] zu leisten, gegründet. Der Vorstand besteht in weiten Teilen aus Sozialarbeiter:innen mit Leitungserfahrung und/oder wissenschaftlicher Zusatzausbildung, wobei darauf geachtet wird, dass die unterschiedlichen Bundesländer angemessen repräsentiert sind. Für Forschungsaufgaben, etwa die Zusammenarbeit mit der Statistik Austria zur Erfassung von Wohnungslosigkeit [2], sind auch Jurist:innen und Sozialwissenschaftler:innen angestellt. Mit Stand Juni 2024 umfasst die BAWO 57 Mitgliedsorganisationen und 97 persönliche Mitglieder.


Der Arbeitskreis: Bestandsaufnahme und Forderungen


Im Rahmen eines Workshops präsentierte die [um]bruch:stelle auf der diesjährigen Fachtagung aktuelle Zahlen, Daten, Fakten zu Junger Wohnungslosigkeit – und diskutierte, wie verlässlich diese tatsächlich sind. In der anschließenden Bestandsaufnahme mit den ca. 35 Teilnehmenden wurde deutlich, dass in der Wohnungslosenhilfe mehr Ressourcen in das „Feuer löschen“ als das „Feuer verhindern“ investiert werden – und das nicht nur hierzulande. Alternativ dazu wurden internationale Beispiele für die Upstream Prevention, also jene Präventionsarbeit, die „flussaufwärts“ an den Wurzeln der Probleme ansetzt, eingebracht.

Berichte aus den österreichischen Einrichtungen legten offen, dass überhaupt nur eine Handvoll der anwesenden Personen in ihrer Arbeit explizit Ressourcen zur Verfügung haben, um mit Jungen Erwachsenen zu arbeiten. Die überwiegende Mehrheit arbeitet in Wohnungslosenhilfe-Angeboten für Erwachsene ohne Altersbegrenzung, in welchen vermehrt auch Junge Erwachsene andocken. Da diese Angebote konzeptuell kaum auf die besonderen Bedürfnisse der Zielgruppe eingestellt sind, sehen sich die Fachkräfte in ihren Ressourcen sehr gefordert (vgl. dazu auch unseren ersten BLOG-Artikel Winterpaket). Aus dieser Praxislage heraus entstanden folgende Forderungen, welche sich an diverse Entscheidungsträger:innen in Österreich richten:


Es braucht mehr Zugangsmöglichkeiten zu gesichertem Wohnen für Junge Erwachsene!


  • Langfristiger und leistbarer (Zugang zu) Wohnraum und flexible(n) Wohnformen. Dazu sehen die Teilnehmenden die Notwendigkeit, politisch die Wohnungswirtschaft in die Verantwortung zu nehmen, und Spekulationen mit Boden und Wohnraum auf dem Rücken von Niedrigverdiener:innen Einhalt zu bieten. (zum Weiterlesen: BLOG-Artikel Junges Wohnen)

  • Langfristige soziale Unterstützung rund ums Wohnen aber auch, bei Bedarf, hinsichtlich anderer Belange, wie etwa Arbeitsmarktintegration. (zum Weiterlesen: BLOG Artikel U25)

  • Einrichtungen und diversifizierte Angebotsformen spezifisch für Junge Erwachsene, wie etwa Clearingstellen, ambulante und aufsuchende Angebote, welche über reine Wohn-Themen hinausgehend zuständig sind.

  • Spezifische, lebensweltorientierte Wohnkonzepte für Junge Erwachsene in prekären Lebenslagen.

Ein Best Practice-Beispiel, wie Wohnangebote für Junge Erwachsene unterstützend und nachhaltig gestaltet sein können, bietet das Angebot „Junges Wohnen” (vormals HomebasE und Shakan) des Roten Kreuz in Innsbruck.


Es braucht eine spezifische Haltung für die Arbeit mit Jungen Erwachsenen in der Wohnungslosenhilfe!


  • Commitment, d.h. bewusstes Entscheiden für die Zielgruppe Junge Erwachsene, sichtbar etwa indem sie in Konzepten bewusst adressiert und Maßnahmen für die Zusammenarbeit formuliert werden.

  • Wissen um die Hintergründe und besonderen Bedürfnisse der Zielgruppe durch regelmäßige Fortbildungen in Teams, insbesondere auch die Ausarbeitung pädagogischer Konzepte und Grundhaltungen, welche „Scheitern“ zulassen.

  • Entstigmatisierung: Schaffung breiter Anlaufstellen für Junge Erwachsene, bei denen nicht das Stigma „wohnungslos“ mitschwingt.

  • Diversität und Wahlfreiheit in den Angeboten für Junge Erwachsene.


Es braucht Ressourcen für die Arbeit mit Jungen Erwachsenen – insbesondere auch in Einrichtungen/Angeboten, die nicht exklusiv für diese Zielgruppe etabliert wurden!


Die Jungerwachsenen-Phase ist allgemein eine Zeit der Umbrüche und Exploration, „welche mit einem erhöhtem Risikoverhalten (…) einhergeht“ [3]. Wird diese zusätzlich belastet durch Armutsbiografien, prekäre Wohn- und/oder Arbeitsverhältnisse und familiäre Krisen, benötigen Junge Erwachsene in Notlagen Strukturen und Einrichtungen, die sich an ihre „Lebensrealitäten, altersspezifische[n] Bedarfe und Bedürfnisse, Sprunghaftigkeiten und Diskontinuitäten“ [3] anpassen. Deshalb braucht es:

  • Etablierung sozialpädagogischer Begleitung bzw. Co-Betreuung für Junge Erwachsene in Angeboten für Erwachsene ohne Altersbegrenzung.

  • Ressourcen für aufsuchende/nachgehende Arbeit bzw. flexiblere (Nach-)Betreuungsmöglichkeiten für Junge Erwachsene.

  • Verlängerung des Rechtsanspruchs auf Betreuung und Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe, als Präventionsschritt, um der Wohnungslosigkeit von Care Leavers vorzubeugen. (zum Weiterlesen: BLOG-Artikel Care Leavers)


Es braucht mehr Aufmerksamkeit für die (psychische) Gesundheit von Jungen Erwachsenen und deren Auswirkung auf den Arbeitsalltag in der Wohnungslosenhilfe!


  • Nach Bedarf aufsuchende Konsiliarärzt:innen bzw. weiteres psychiatrisches, psychologisches und psychotherapeutisches sowie pflegerisches Personal, um Zugangshürden für die Inanspruchnahme eben dieser Angebote zu senken und die gesundheitliche Stabilisierung Junger Erwachsener zu fördern.

  • Größerer Fokus auf und Anpassung an sich stetig verändernde Lebenswelten von Jungen Erwachsene, z.B. hinsichtlich „virtueller“ vs. analoger Realität, nicht-substanzgebundenen Süchten, wie (online) Kauf- oder Spielsucht, durch die Etablierung flexibler und niederschwelliger Angebote.

  • Sensibilität bei der Diagnosestellung: Diagnosen sind wesentlich für eine angemessene Behandlung und ermöglichen auch den Zugang zu angemessenen Angebotsformen. Jedoch wird regelmäßig eine schnelle, vorurteilsbehaftete Diagnosestellung beobachtet, die dem stigmatisierenden Charakter von Diagnosen nicht ausreichend Beachtung zu schenken scheint.


Es braucht Angebote, die Junge Erwachsene auch annehmen können – insbesondere auch dann, wenn sie aufgrund von Mehrfachbelastungen schon viele Beziehungsabbrüche erlebt und dadurch Misstrauen aufgebaut haben!


  • Finanziell abgesicherte, zielgruppenspezifische Örtlichkeiten und Angebote, um zu ermöglichen, dass Junge Erwachsene nach erster Kontaktaufnahme eine weiterführende Unterstützung annehmen können. Negativbeispiele sind z.B. Notquartiere mit sehr großen Altersunterschieden. Sie verschrecken häufig Junge Erwachsene schon nach dem ersten Kontakt, weshalb die Unterstützungsangebote nicht weiter genutzt werden. (zum Weiterlesen: BLOG-Artikel Winterpaket)

  • Niederschwellige Zugänge zu Angeboten (zeitlich, sozialräumlich oder auch via Social Media etc.) sowie konkrete rasche unbürokratische Hilfeleistungen, wenn der Kontakt einmal gelungen ist.

  • Zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit, um auf Angebote aufmerksam zu machen und Hemmschwellen abzubauen.

  • Bezugspersonen: (Nach Möglichkeit) Angebot einer gewissen personellen Kontinuität, um die Beziehungsangebote besser setzen und Vertrauensbildung erleichtern zu können – denn Arbeit mit Jungen Erwachsenen ist Beziehungsarbeit.

  • Wünsche und Auftrag der Klient*innen ernst nehmen und akzeptieren, anstelle einer bevormundenden Grundhaltung.


Es braucht gleichberechtigte Angebote für Junge Erwachsene mit Fluchterfahrung, welche aktuell in mehrfacher Hinsicht benachteiligt sind!


Junge Erwachsene mit Fluchterfahrung erleben Mehrfachdiskriminierung. Viele Angebote bleiben ihnen verwehrt, die gleichaltrigen Personen mit anderem Aufenthaltsstatus / anderer Nationalität ermöglicht werden. Gesellschaftlich erleben sie in besonderem Ausmaß intersektionale Diskriminierungen aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Sprache, sowie der spezifischen Verschränkung von Flucht- und Armutserfahrungen. Junge Erwachsene, die als minderjährige allein nach Österreich geflüchtet sind, haben zusätzlich damit zu kämpfen, nur wenig Unterstützung über soziale Netzwerke (wie der Familie) erhalten zu können und sind beim Erwachsenwerden mit gänzlich unbekannten Systemlogiken, Rechten und Pflichten konfrontiert.

  • Spezifische Angebote und Räume schaffen für Geflüchtete im Jungerwachsenenalter in Einrichtungen der Grundversorgung bzw. der Erstaufnahme.

  • Zugangskriterien zu sozialem Wohnbau an Lebensrealitäten von jungen erwachsenen Geflüchteten anpassen à Abbau von Zugangsbarrieren aufgrund von Aufenthaltsstatus und Anerkennung der prekären Wohnrealität vieler Betroffener.

  • Begleitung > Beratung: Junge erwachsene Geflüchtete brauchen verstärkt kontinuierliche Ansprechpersonen, die auch begleiten, statt „nur“ das Angebot von Beratung (ist im Rahmen bestehender Angebote häufig nicht finanziert).


Forderungen haben die meiste Wirkung, wenn über sie gesprochen wird und Entscheidungsträger:innen – auf diversen Wegen – auf Lösungsvorschläge und Bedarfe aufmerksam gemacht werden.

Als [um]bruch:stelle tragen wir diese Forderungen inhaltlich vollständig mit und verbreiten sie über unsere Kanäle. Welche Möglichkeiten jede einzelne Person hat, diese Forderungen weiterzutragen, wurde am Ende des Workshops gemeinsam mit den Teilnehmenden via Mentimeter erarbeitet:

Forderungen verbreiten
Wenn du die [um]bruch:stelle für Workshops, Seminare oder Vorträge buchen möchtest, kannst du auf unserer Website unter „Workshops & Vorträge“ nachlesen was wir anbieten, bzw. deine Anfrage per Mail an umbruchstelle@outlook.com senden.

Doris leitet seit 2018 das Projekt Care Leaver Mentoring und seit Anfang 2023 berät sie im Rahmen der Care Leaver-Beratungsgutscheine junge erwachsene Care Leaver in Wien. Ihre Masterarbeit über Wohnerfahrungen, -herausforderungen und -perspektiven junger erwachsener Care Leaver in Wien (2024) kann hier nachgelesen werden. Bei der [um]bruch:stelle übernimmt sie die Funktion der Obfrau-Stellvertreterin.

 


Maresi ist seit 2012 in der Wiener Wohnungslosenhilfe tätig. Sie ist Einrichtungsleitung des Hauses für Junge Erwachsene (JUCA). Neben der Sozialen Arbeit engagiert sie sich ehrenamtlich in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, auch hier im Speziellen für Junge Erwachsene. Bei der [um]bruch:stelle übernimmt sie die Funktion der Schriftführerin.



Florian ist klinischer Sozialarbeiter und Soziologe. 2015 hat er in der Wiener Wohnungslosenhilfe begonnen. Aktuell ist er als wohn- und sozialpolitischer Referent mit dem Schwerpunkt Delogierungsprävention sowie freiberuflich in Forschung und nebenberuflich in der Lehre am FH Campus Wien tätig. Bei der [um]bruch:stelle übernimmt er die Funktion des stv. Kassiers und stv. Schriftführers.


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Weiterführende Literatur

Positionspapier der AG Junge Wohnungslose. 2021. Über den Bedarf eines Gesamtkonzepts für junge Erwachsene in der Wohnungslosenhilfe. Wien: Arbeitsgruppe Junge Wohnungslose.

 

Bibliografie

  1. BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. o.J. Wir über uns: Vorstand. https://bawo.at/wir-ueber-uns (letzter Zugriff 09.06.2024).

  2. Statistik Austria. 2023. Kennzahlen zu Lebensbedingungen 2022: Indikatorendefinitionen. Indikatoren für soziale Inklusion in Österreich. Wien. https://www.statistik.at/fileadmin/pages/338/Kennzahlen_zu_Lebensbedingungen_2022.pdf (letzter Zugriff 09.06.2024).

  3. Umbruchstelle – Lobby zur Verbesserung der Lebenslagen Junger Erwachsener. 2024. Das Winterpaket – und die vergessenen Jungen Erwachsenen. Wien. https://www.umbruchstelle.at/post/das-winterpaket-und-die-vergessenen-jungen-erwachsenen (letzter Zugriff 09.06.2024).

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