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AutorenbildFlorian Eder

„Ich war als ‚baby-queer‘ damals nicht ready für so etwas“

Jung, queer, wohnungslos. Ein Interview mit einer* ehemals Jungen Wohnungslosen


ein Interview mit Marlene, geführt von Florian Baumgarten, Gründungs- und Vorstandsmitglied der [um]bruch:stelle


Queer [i] und wohnungslos zu sein, bedeutet in einer absoluten Notsituation multipler Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Gerade im Licht der Queerness zeigen traditionelle Angebotssegmente der Wohnungslosenhilfe ihre Schwächen auf. Mehrbettzimmer in Notquartieren schützen weder die Privatsphäre noch vor queer-feindlichen Aggressionen. Geschlechtsbinäre Angebote (Notquartiere oder Tageszentren für „Männer“ oder „Frauen“) stellen den inklusiven und progressiven Anspruch der Unterstützungssysteme in Frage. Die „Arbeitsgruppe queere Wiener Wohnungslosenhilfe“ hat vor Kurzem den Status Quo sowie Vorschläge zur Verbesserung in einem Positionspapier zusammengefasst.


Marlene berichtet in einem Interview mit der [um]bruch:stelle wie es war, die eigene Queerness zu entdecken, während sie* als Junge Erwachsene von Wohnungslosigkeit betroffen war, und erzählt von einer zunehmenden Offenheit für angemessenere Angebote und Fortschritten innerhalb der Wiener Wohnungslosenhilfe. Marlene arbeitet heute selbst als Mitarbeiter*in in der Wohnungslosenhilfe.

 

Wie ist es dazu gekommen, dass du wohnungslos geworden bist?

Das hat in meinem Fall weniger mit meiner Queerness zu tun, sondern mehr mit einer sehr problematischen Kindheit. Da meine Schwester zu dem Zeitpunkt, wo das passiert ist, schwanger war, hat meine Mama sich sehr darauf konzertiert für sich und meine Schwester eine Unterkunft zu finden. Und auf mich ist da einfach keine Rücksicht genommen worden. Dementsprechend musste ich da für mich allein was finden. Da war ich frisch achtzehn.

 

Kannst du mir erzählen, wie deine ersten Wochen in dieser Notlage waren?

Das waren eigentlich mehr Monate. Wie es angefangen hat, war ich im Gymnasium und mit vielen befreundet, da hab ich für drei bis vier Monate ein regelrechtes Couchsurfen veranstaltet. Ich bin dann mit mehreren Rucksäcken in die Schule gegangen. Und sobald eine Person dann keinen Platz mehr hatte oder die Eltern der Person meinten, eine Woche ist zu viel, hab ich bei jemand anderen versucht zu schlafen. Also ich bin zu dieser Zeit wirklich mit Sack und Pack unterwegs gewesen, auch im Schulalltag.

In der Zwischenzeit habe ich dann veranlassen können, dass ich die Halbwaisenpension auf mich ausgestellt bekomme und auch die Mindestsicherung beantragt. Mit dem Geld habe ich mir dann eine WG gesucht. Aber das war auch ein unsicheres Verhältnis, weil ich keinen Mietvertrag unterschrieben habe. Das war ein großer Fehler, weil die Hauptmieterin die Miete monatelang nicht gezahlt hat, ohne dass wir anderen davon wussten. Dann sind wir delogiert worden.

 

Wann hattest du deine ersten Berührungspunkte mit der Wohnungslosenhilfe?

Das hat länger gedauert. Ich brauchte einige Monate, bis ich das annehmen konnte. Da war ich um die neunzehn Jahre. Also über ein Jahr habe ich gebraucht. Zuerst habe ich mir eine Postadresse ausstellen lassen und war dann auch einmal eine Woche im Notquartier. Allerdings war dann schon mein Präsenzdienst anstehend. Der hat aber auch nicht lange angehalten. Nach ungefähr einer Woche wurde ich aufgrund der großen psychischen Belastung durch die Gesamtsituation frühzeitig entlassen und war zurück im Notquartier. Und nach ein paar Monaten im Notquartier bekam ich dann einen Wohnplatz mit Einzelzimmer.

 

Wie war es für dich im Notquartier?

Das war ziemlich heftig. Das waren damals Vier-Bett-Zimmer, es war ein kompletter Mangel an Privatsphäre und du musstest unter Tags das Notquartier verlassen.

 

Wann hast du denn deine Queerness für dich entdeckt?

Das war ziemlich zeitgleich mit dem Moment, als ich ins Einzelzimmer gezogen bin. Ich habe mich allerdings nicht sofort geoutet. Dafür verantwortlich waren Erfahrungen, die ich in der Wohnungslosenhilfe gemacht habe. Es gab nämlich eine Person, die offen schwul war und aufgrund dieser Tatsache massive Diskriminierung in der Einrichtung erfahren hat. Das Betreuerteam hat zwar so gut wie möglich versucht einzugreifen, aber die konnten auch nicht 24/7 verfügbar sein. Außerdem waren es zum Teil richtig subtile Angriffe. Auch ein*e Betreuer*in war damals sehr offen queer. Das hat mich zwar bestärkt, aber natürlich ist dann auch viel über die Person getuschelt worden und Ähnliches. Also ich war als „baby-queer“ damals nicht ready für so etwas.

 

Wie ist dein heutiger Eindruck von der Angebotslandschaft?

In vielerlei Hinsicht ist institutionell nicht viel Spielraum: Die Zuweisung vom FSW [Anmerkung: Fonds Soziales Wien] findet immer noch in einem binären Rahmen statt [Anmerkung: es gibt „Männer-“ und „Frauenplätze“]. Auch müssen Einrichtungen im niederschwelligen Bereich Plätze reduzieren, die in der Betreuung von queeren Personen Erfahrung hätten. Das heißt da ist Expertise da, aber es wird das Potential nicht ausgereizt.

Was ich aber sagen kann ist, dass mehr Sensibilität für das Thema vorherrscht und aktiv nach Expertise gesucht wird. Ich bemerke den Wunsch darüber zu reden, den Wunsch Queerness zu einem größeren Thema zu machen – es ist jedenfalls ein offener Dialog im Gange. Aber die Aktionen spiegeln es noch nicht immer vollumfänglich wider.

 

Wenn du heute Menschen berätst, die in einer Situation sind, in der du früher warst: Was rätst du ihnen im Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Gender Identity?

Dadurch, dass die Landschaft sich entwickelt hat – auch wenn sie noch nicht zu hundert Prozent dort ist, wo es ideal wäre – kann ich ihnen die mittlerweile existierenden Ressourcen anbieten. Und dadurch, dass ich selbst queer bin und sehr offen queer bin, bin ich jedenfalls eine Projektionsfläche. Die queeren Personen in den Einrichtungen, in denen ich tätig bin, sehen mich als eine Ansprechperson für ihre Queerness. Und das freut mich natürlich, weil ich ihnen das bieten kann, was ich mir damals gewünscht hätte. Was man diesbezüglich im Vergleich zu früher auch sieht: Immer mehr Personen in den Einrichtungen sind offen queer und fallen in den großen Regenbogensammelbegriff rein.

 

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Florian ist klinischer Sozialarbeiter und Soziologe. 2015 hat er in der Wiener Wohnungslosenhilfe begonnen. Aktuell ist Flo als wohn- und sozialpolitischer Referent mit dem Schwerpunkt Delogierungsprävention sowie freiberuflich in Forschung und nebenberuflich in der Lehre am FH Campus Wien tätig. Bei der [um]bruch:stelle übernimmt er die Funktion des stv. Kassiers und stv. Schriftführers.

 

 

 

Weiterführende Literatur

AG queere WWH (2024): QUEERING DER WOHNUNGSLOSENHILFE. Positionspapier zur Verbesserung der Situation für Queere Obdach- und Wohnungslose in Wien. https://queerewwh.wixsite.com/positionspapier.

 





[i] Was bedeutet LSBTIQ*? Glossar der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt: https://www.lsvd.de/de/ct/3385-Was-bedeutet-LSBTIQ-Glossar-der-sexuellen-und-geschlechtlichen-Vielfalt#queer.




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